Dienstag, 7. Juni 2011

Ich-Bewusstsein

Für die einen ist es ein Segen: Insel im Meer des Chaos.
Voller Angst sind sie: niemals verlassen sie ihre kleine Sandbank.

Für die anderen ist es ein Fluch: oft entfliehen sie, lassen sich hinaustragen.
Doch, stets wachen sie morgens in der Brandung auf, wieder gestrandet.

Nun, die See schwemmt ständig Inseln auf, und trägt sie wieder ab.

Mittwoch, 4. Mai 2011

Ne Runde Laotse um die Ohren. Oder: Warum wir uns immer tiefer in der Sackgasse verrennen



(Aus: Laotse - Daodejing, übertragen aus dem Chinesischen von Walter Jerwen)


Kapitel 17

DIE frühesten Herrscher waren kaum gekannt.
Die späteren wurden verehrt.
Die noch späteren gefürchtet.
Die letzten verachtet. 
Wird Gesetzmäßigkeit verlassen/
Werden Gesetze verhängt.
Gesetze schaffen gesetzliche Vorgänge.
Gesetzliche Vorgänge führen zu Zerfall.
Die frühesten Herrscher wahrten Gesetzmäßigkeit.
Und das Volk fühlte sich frei.

Kapitel 18

DAS große Eins-sein erstarb /
Da entstand Güte und Rechtschaffenheit.
Klugheit stand auf /
Da erschien List und Gleisnerei.
Das Blutband zerriss /
Da ward Kindespflicht und Verwandtschaft.
Völker entglitten der Gesetzmäßigkeit /
Da kam Gesetzestreue und Beflissenheit.

Kapitel 29

DIE Welt bewältigen durch Gewalt /
Die Vorgänge ergeben / daß dies unmöglich ist.
Die Welt untersteht dem Walten des Übergewaltigen /
Man kann sie nicht vergewalten.
Sie nehmen wollen heißt sie verlieren.
Sie behandeln wollen heißt sie verwirren.
Denn im Ablauf der Vorgänge bedingt
Vorangehen / Zurückbleiben
Entflammen / Erkalten
Zunehmen / Abnehmen
Gewinnen / Verlieren.
Also der Erwachte:
Ihn lenkt nicht Ungestüm /
Nicht Unruhe /
Nicht Unwesen.

Kapitel 57

MIT Gesetzlichkeit mag man verwalten /
Mit Geschicklichkeit mag man vorwärts kommen.
Aber der wahre Herrscher herrscht durch Nicht-Tun.
Der Ablauf der Vorgänge ergibt:
Je mehr Verwaltung / um so mehr Gewalt.
Je mehr Verordnung / um so mehr Übertretung.
Je mehr Waffen / um so mehr Unruhe.
Je mehr Gesetzlichkeit / um so weniger Gesetzmäßigkeit.
Also der Erwachte:
Er meidet Verwaltung /
Und die Leute fühlen sich frei.
Er meidet Verordnung /
Und die Leute erfühlen die Große Ordnung.
Er meidet Schärfe /
Und die Leute entzweit nicht Tun.
Er wahrt Gesetzmäßigkeit /
Und die Leute finden sich im Nicht-Tun.

Kapitel 58

WALTET Nicht-Tun / ist einfaches Volk.
Verwaltet Tun / ist verwirrtes Volk.
Gesetzlichkeit begräbt Gesetzmäßigkeit.
Immer belauert Gesetzlichkeit Gesetzmäßigkeit.
Doch verbessern heißt stets verschlimmern.
Verordnung bringt aus der Ordnung.
Einfach verkehrt sich in Verworren.
Unbedingt verkehrt sich in Bedingt.
Blindnis überwältigt /
Nicht erleuchtet das Überwältigende.
Darum der Erwachte:
Er gleicht einem Viereck / ohne Kanten.
Er gleicht einem Winkel / ohne Spitze.
Er gleicht einem Fels / ohne Schärfe.
Er gleicht einem Licht / ohne Blendung.

Kapitel 59

DAS Volk vorwärts treiben zur Vollendung /
Geschieht durch Zurückbleiben.
So findet das Volk ins Uranfängliche.
Uranfänglich werden /
Heißt wieder erlangen die Fülle der Leere.
Solche Fülle enthebt der Mängel.
Enthoben sein ist Erhaben sein.
Erhaben sein ist Begrenzung verlieren.
Begrenzung verlieren ist Teil des Grenzenlosen sein
Teil des Grenzenlosen sein ist währen.
Währen ist wie das Mütterliche sein.
Es wurzelt im Bodenlosen und treibt ins Uferlose.
Es geht ein /
Und doch verlischt nicht die Spur seines Unvergehens.

Kapitel 60


EIN großes Reich regieren verlangt Ruhe /
Gleich wie das Sieden kleiner Fische.
Soll Gesetzmäßigkeit walten /
Bedarf es keiner Verwalter.
Sind nicht Verwalter /
Fühlt das Volk sich nicht bedrängt.
Nicht bedrängt /
Verdrängt es Aufdringlichkeit der Wissensreichen.
So naht das Wissen Reichende.


Kapitel 67


DIE Welt begutachtet das Wesentliche /
Aber es scheint ihr nicht brauchbar /
Nicht brauchbar für ihre Wirklichkeit.
Das aber ist das Wesentliche /
Dass es nicht brauchbar ist für ihre Wirklichkeit
Denn ihre Wirklichkeit ist nicht Wesens Verwirklichung.
Ich wahre drei Werte / die währen.
Der erste ist Teil sein.
Der zweite ist Einfältig sein.
Der dritte ist Zurückbleiben.
Durch Teil sein bekomme ich Beschlossenheit.
Durch Einfältig sein erfaltet sich mir das Eine.
Durch Zurückbleiben komme ich weiter.
Allewelt verwirft Teil sein /
Obwohl sie für Persönlichkeit schwärmt.
Allewelt verwirft Einfältig sein /
Obwohl sie für Ursprünglichkeit schwärmt.
Allewelt verwirft Zurückbleiben /
Obwohl sie für Fortschritt schwärmt.
Aufgeben Zurückbleiben bedeutet Begängnis des Lebens.
Aufgeben Teil sein bedeutet Erliegen dem Dasein.

Mittwoch, 27. April 2011

Verschwörungstheorie

Sie mischen Entsinnifizierungsmittel in unser Essen, damit uns unser kümmerliches Legehennendasein von vorheherein erst garnicht bewusst werden kann. Diese Vorgehensweise ist unkomplizierter, insgesamt kostengünstiger und hält das Produktionsniveau konstant.

Freitag, 15. April 2011

perlen,

schatten, licht, so hingebungsvoll
bringt sie sich dar, herzöffnend
lässt säfte zusammenfließen
und tränen der sehnsüchtigen

sie nimmt, sie gibt
öffnet sich sanft, lustvolle zaghaftigkeit
schließt sich und erwartet doch gleich wieder
lässt sich los, beobachtet sich beim spiel

ihren hals, was würd' ich drum geben
ihn zu schmecken, zu küssen
solch unerhört zarten mund

Dienstag, 12. April 2011

Schwarzweißer Kater

Wesen zwischen den Welten, Schatten im Halbdunkel
Gefährte in schlaflosen Nächten
Oft schon führte er mich aus dem Limbus.


                                         Herr Marvin

Montag, 21. März 2011

Verdammte Matrix

Ich kann euch fühlen, manchmal leise hören. Ich weiß, ihr seid irgendwo dort draußen. Ihr und ich, wir sind vom gleichen Blut, stehen im gleichen Nebel, zwischen all den anderen.
Haben uns aus den Augen verloren und noch nicht wiedergefunden, erkennen uns nicht mehr. Erspüren wir uns einmal, treffen wir uns dennoch nicht: Angst vor Verkomplizierung hält uns einander fern.

"Wie töricht" werden wir uns sagen, wenn wir am Ende erkennen, dass der Nebel erdgebunden ist und direkt über unseren Köpfen bereits endet.

"Ich hätte doch lediglich" werden wir sagen. Bitter beweinen werden wir unser Leben: stets blind aneinander vorbeigelaufen. Geistige Krüppel, seelische Zombies, die wir einst junge Menschen waren, bevor man uns in ein Gehege pferchte und uns einredete, das Gehege sei die Welt und unser stumpfes Trampeln das Leben.

Wie unsere Herzen lachen werden, wenn wir einst wieder vereint sind, oh wie werden sie Funken sprühen!




Mittwoch, 9. Februar 2011

Das Hohe Lied des Bullshits

Gib stets dein bestes bei dem was du tust
nutze alle gelegenheiten, die dir geboten werden
selbst wenn du sie nicht nutzen möchtest
es könnte dir sonst leid tun später: verpasste karriere, verschwendetes leben,
unzufrieden mit dir selbst, todunglücklich wirst du sein
bis an dein lebensende und noch danach
ein versager bist du dann: faul, unfähig, erfolglos, wertlos.
das lebensziel hast du dann verfehlt, umsonst gelebt.

"Du warst ungehörig in meinen Augen!"
sagt am ende die unbewusste projektion eines arschlochs, die ihr gott nennt. 

Vermeide konflikte, mache es allen recht.
werde ein akzeptiertes mitglied der gesellschaft
dabeisein bannt gefahr und schützt vor einsamkeit.
gehe geduckt inmitten der herde, sie sei dein behagen.
sie macht duckmäusertum bezahlt, helden zertrampelnd.
der trampelpfad ist gerade und eben, folge ihm:
dich selbst musst du dann nicht suchen, im nebel.
freiheit und individualität sind pubertäre hirngespinste.
bunte hunde haben es schwerer als graue mäuse,
drum schlaf und träume unbesorgt den grauemäusetraum. 
dein geschlossenes maul ist deine stimme für uns,
dein schnarchen das fundament unserer gemeinschaft.
gemeinschaft der scheinheiligen, entbehrung der münder.

 
(Erde: ich liebe dich. Welt: leck mich am Arsch.)

Dienstag, 11. Januar 2011

Ne Runde Kitsch?

Gigantisches Konstrukt, bedrohlich und kalt.
Zehntausend Träger, stählerner Albtraum.
Malerjunge mit Farbtopf und Pinsel
Anstreichen soll er, grau solls werden.

Lange schon rosten die Stahlträger, werden irgendwann brechen.
Kleiner Maler, suche einen Ausgang aus dem Labyrinth
sonst ist dein Ende nah, oder du wirst gefangen sein
in den Trümmern dieses Wahnsinns, bis deine Flamme schließlich erlischt.

Klug ist er und aufmerksam, ahnt aus dem Vielen Neues.
Sieht zwischen den dunklen Trägern
von weitem Licht flackern, anfangs noch schwach.
Ungekannte Klänge erreichen ihn: Grillenzirpen, Vogelruf.

Sieht bald mitten hinein, geblendet von der Helligkeit.
Betritt wundersames Grünweich, betört von mildem Sommerwind.
Dreht sich um, erkennt die Umrisse eines Gebildes,
dessen Inneres er für die Welt hielt.

Streift erst unsicher umher, liebkost von Duft und Schwarm.
Verspürt noch Angst und Schrecken, doch nicht mehr eisige Kälte:
Sonnenstrahlen wärmen nun. Wundert sich, keiner da außer ihm.
Sieht den Quell seiner Angst auf ewig versiegen.

Heiter geht er, das Herz ein extatischer Liebesklumpen,
über die Blumenwiese ohne Anfang und Ende.

Wir mit unseren albernen Rollen

Ein schicker Dandy, ein immerpositivdenkender Hippie, ein erfolgsgeiles Kleidermodel, ein gestriegelter Businessman, ein ignoranter Materialist, ein alleskritisierender Weltverbesserer, ein besoffener Kneipenhocker, ein dumpfbackiger Neonazi, ein herumpöbelnder Punk, ein alternativdenkender Öko-Fanatiker, ein wilder Biker, ein lustig-lockerer Retro, ein verstörender Emo, eine modesüchtige Stöckelschuh-Madamm, ein dauerbreiter Herumhänger, ein stetsgutgelaunter Weltenbummler, ein immerlächelnder Religionsanhänger, ein besserwissender Studienabgänger.




Auf dass ihm einer abgehe.

Trends und Moden. Übernommene Gesten, Meinungen, Redensarten und Verhaltensweisen. Klischees, Schubladen, Spielregeln. Groteske Stereotypen, immer die gleiche Leier. Wir denken, wir seien das.

Aber spiel ruhig mit, versuche dich in allem, lass dich von dieser Maskeradenwelt verschlingen. Sie kaut uns so oft durch bis nur noch unser Wesenskern übrig bleibt, dann kotzt sie uns raus weil der unverdaulich ist. Dann sind wir uninteressant, so ganz ohne Fruchtfleisch. Ausgelutscht. Das Spiel der Äußerlichkeiten reißt uns immer weniger mit, das ruft Einsamkeit hervor. Hier und da trifft man sich unter nackten Kernen, auf dem Boden, das bunte Treiben der Früchte betrachtend. Manchmal weicht warmer Regen den Boden auf und lässt die Grenze verschwimmen. Einige nutzen das: lassen alles los, gehen ein in die fruchtbare Erde, allein. Ihr Innerstes wächst nach außen…